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dpa-AFX: ROUNDUP 2: Wachstumskrise verstärkt Druck auf Regierung - Habeck will Impulse

(neu: Durchgehend aktualisiert.)

JENA/ERFURT (dpa-AFX) - Es sind schlechte Nachrichten. Die deutsche
Wirtschaft kommt auch in diesem Jahr nicht vom Fleck. Nur ein Mini-Wachstum von
0,2 Prozent erwartet die Bundesregierung. "Dramatisch schlecht" nannte das
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), Finanzminister Christian Lindner
(FDP) sogar "peinlich und in sozialer Hinsicht gefährlich". Doch was nun? Die
trüben Konjunkturaussichten verstärken den Druck auf die Bundesregierung.

Und auch die Bauernproteste gehen weiter. Bei einem Besuch Habecks am
Donnerstag in Floh-Seligenthal in Thüringen versperrten Demonstranten mit
Treckern einen Zugangsweg zu einem Werk des Nougatherstellers Viba - Habeck kam
allerdings auf einem anderen Weg dort an und besichtigte das Werk. Auf Plakaten
war zu lesen: "Zu viel ist viel" oder "Ampel ruiniert Landwirtschaft".
Bundesweit gibt es seit Wochen Proteste, weil die Bundesregierung
Steuervergünstigungen beim Agrardiesel streichen will.

Schnelle Konjunkturerholung nicht in Sicht

Im vergangenen Jahr ist die deutsche Wirtschaft in eine Rezession gerutscht.
Besserung ist erst mal nicht in Sicht. Zu Beginn einer dreitägigen Ländertour
durch Sachsen, Thüringen und Bayern kündigte Habeck am Mittwoch bei einer
Handwerksmesse in Leipzig an, die Bundesregierung werde ihre Konjunkturprognose
für dieses Jahr deutlich senken - dazu stellt Habeck in der kommenden Woche den
Jahreswirtschaftsbericht vor. In der Herbstprognose war die Regierung noch von
einem Wachstum in laufenden Jahr von 1,3 Prozent ausgegangen.

FDP-Chef Lindner sagte am Mittwochabend beim politischen Aschermittwoch der
brandenburgischen FDP in Potsdam, mit einer Wachstumsprognose von 0,2 Prozent
sei Deutschland erneut in der Schlussgruppe der entwickelten Wirtschaftsnationen
sein.

Habeck will Bremsen lösen

Am Donnerstag besuchte Habeck in Jena den Technologiekonzern Jenoptik
. Er sagte, ein Wachstum von 0,2 Prozent sei "in keinster Weise
befriedigend". Mit Blick auf die schwache Weltkonjunktur sagte der Minister, man
werde nicht alle Probleme lösen, müsse aber "Hausaufgaben" erledigen - und
Wachstumsimpulse setzen. "Die ökonomische Lage ist vielfältig, aber es ist ein
sehr klarer Auftrag, was wir tun müssen." Habeck nannte eine schnellere
Entbürokratisierung und angesichts vieler offener Stellen eine schnellere
Vermittlung von Menschen in den Arbeitsmarkt. Der Fachkräftemangel sei eine
Wachstumsbremse.

Mehr Geld vom Staat?

Habeck sagte, er bekomme viele Anfragen von Unternehmen, die gerne eine
Fabrik in Deutschland bauen wollten - sie sagten ihm aber, sie bräuchten gleiche
Bedingungen wie in den USA. Die USA locken Unternehmen mit massiven Anreizen aus
staatlichen Töpfen. Deutschland habe sich entschieden, Gelder restriktiver
auszugeben. "Wenn es mehr Gelder gibt, dann gibt es keinen, der sich mehr freut
als ich."

Habeck hatte ein milliardenschweres, schuldenfinanziertes Sondervermögen ins
Spiel gebracht, um Steuerentlastungen für Firmen zu finanzieren und die
Wirtschaft anzukurbeln. Die FDP aber pocht darauf, die Schuldenbremse
einzuhalten und lehnt Steuererhöhungen ab. Und die SPD dürfte Einschnitte bei
Sozialleistungen nicht mitmachen.

Dabei sind sich Habeck und Lindner in der Analyse eigentlich einig:
Deutschlands Firmen drohen international nicht mehr wettbewerbsfähig zu sein,
wegen einer im internationalen Vergleich hohen Steuerlast oder hoher
Energiekosten. Die Gegenmaßnahmen aber sind umstritten. In Leipzig sagte Habeck,
ohne die FDP zu benennen: Er glaube, es sei der Moment, in dem alle ihre
"Lieblingsplätze" verlassen müssten. Hintergrund ist auch, dass ein geplantes
Wachstumspaket im Vermittlungsverfahren mit den Ländern viel geringer ausfällt
als eigentlich geplant.

Lindner will ein "Dynamisierungspaket" mit Entlastungen in der Breite für
Firmen zum Beispiel im Arbeitsmarkt, bei Energiepreisen, Bürokratie und Steuern.
So schlug er vor, den Solidaritätszuschlag komplett zu streichen. Das aber ist
bei SPD und Grünen umstritten.

FDP-Fraktionsvize Christoph Meyer sagte am Donnerstag: "Lähmender
Bürokratiewust, hohe Strompreise, erdrückende Steuer- und Abgabenlast und zu
wenig Digitalisierung lassen sich nicht einfach wegsubventionieren. Jeder dieser
Punkte muss konkret mit Maßnahmen angegangen werden." Habecks Vorstellungen
gingen leider in die Richtung einer Wirtschaft am "staatlich finanzierten
Subventionstropf". Das habe mit Marktwirtschaft nicht viel zu tun. Habeck solle
lieber einigungsfähige Vorschläge an die Koalitionspartner richten.

Wirtschaft drängt Regierung zum Handeln

Dieter Bauhaus, Präsident der IHK Erfurt, sagte nach einem Gespräch von
Unternehmern mit Habeck: "Eines unserer Grundprobleme ist, dass wir den Eindruck
haben, auf Wirtschaft wird zu wenig gehört."

"Die Regierung hat keine bessere Alternative, als voll loszulegen", sagte
der Geschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, Martin
Wansleben, in Berlin. "Die Krise ist da." Die schlechten Rahmenbedingungen und
der Frust der Unternehmen drückten die Investitionspläne im Inland nach unten.
Es brauche ein kräftiges Aufbruchssignal und langfristig verlässliche,
wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen.

Warnung vor der AfD

Viel Zeit bleibt der Ampel nicht mehr. Im September werden die neuen
Landtage in Sachsen, Thüringen und Brandenburg gewählt, es drohen Wahlsiege der
AfD. Habeck warnte in Erfurt, ein Land, das wirtschaftlich prosperieren wolle,
müsse offen sein - offen für Austausch, für Warenhandel und für Menschen, die
hier arbeiten - und es dürfe nicht Signale senden, "dass Menschen, die hier
nicht Meier, Müller oder Habeck heißen, nicht willkommen sind. Neben allem
anderen, was Werte, Normen, moralische Standards angeht: Das zerstört den
Wohlstand."/bz/DP/men

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