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dpa-AFX: ROUNDUP 2: Erstmals EU-Sanktionen wegen Siedlergewalt im Westjordanland

BRÜSSEL (dpa-AFX) - Die EU hat erstmals Sanktionen wegen der Gewalt
radikaler israelischer Siedler gegen Palästinenser im Westjordanland verhängt.
Die Mitgliedstaaten beschlossen die Strafmaßnahmen gegen Personen und
Organisationen, die dafür verantwortlich sein sollen, am Freitag in einem
schriftlichen Verfahren. Ab sofort mit Sanktionen belegt sind vier Männer, denen
zum Beispiel Folter, Erniedrigungen oder Verstöße gegen das Eigentumsrecht
vorgeworfen werden, wie aus dem EU-Amtsblatt hervorging. Zudem sind die radikale
Jugendgruppe Hilltop Youth und eine rechtsradikale jüdische rassistische Gruppe
mit dem Namen Lehava betroffen.

Angriffe gegen Palästinenser werden wie der Siedlungsbau im Westjordanland
als eines der Hindernisse für Bemühungen um eine langfristige Friedenslösung im
Nahost-Konflikt gesehen - insbesondere auch nach dem Hamas-Massaker in Israel
vom 7. Oktober. Die EU hat die Gewalttaten und den Siedlungsbau bereits
wiederholt verurteilt - für Strafmaßnahmen gab es aber bis heute nie den
erforderlichen Konsens.

Die Sanktionsentscheidung gilt deswegen als ein Anzeichen für einen
Kurswechsel in der Israel-Politik der EU - auch wenn die Strafmaßnahmen an sich
für die Betroffenen vergleichsweise geringe Auswirkungen haben. Im Idealfall
sollen die sie nach Angaben von Diplomaten aber dazu führen, dass die
israelische Justiz sich künftig engagierter um die Verfolgung von Gewalt von
israelischen Siedlern gegen palästinensische Dörfer und Olivenhaine kümmert.

Hilltop Youth wird im EU-Amtsblatt als eine Gruppe beschrieben, die sich aus
Mitgliedern zusammensetze, die für Gewalttaten gegen Palästinenser und deren
Dörfer im Westjordanland bekannt seien. Die Strafmaßnahmen gegen Lehava
begründet die EU unter anderem damit, dass diese Gewalt anwende und zu Gewalt
gegen Palästinenser, Christen und Messianische Juden anstifte. Lehava-Mitglieder
hätten zum Beispiel "Tod den Arabern" gesungen und bei Kundgebungen dazu
aufgerufen, zu den Waffen zu greifen.

Lehava organisiere zudem gewaltsame Proteste gegen jüdisch-muslimische
Hochzeiten und die LGBTQI-Gemeinschaft. Lehava-Mitglieder schikanierten
arabisch-jüdische Paare und griffen diese an. Zu den betroffenen Personen zählen
Mitglieder von Hilltop Youth wie der Siedleraktivist Elisha Yered und ein Mann
namens Neria Ben Pazi. Letzterer soll im Jahr 2019 vier der gewalttätigsten
Außenposten im Westjordanland errichtet haben.

Die Sanktionen gegen Siedler hätten eigentlich bereits vor längerem
beschlossen werden sollen. Die ungarische Regierung, die in der EU als besonders
israelfreundlich gilt, signalisierte allerdings erst im vergangenen Monat, dass
sie ihnen nicht mehr im Weg steht. Teil der Einigung war, dass es auch neue
Strafmaßnahmen gegen bewaffnete islamistische Gruppen gibt. Sie waren bereits in
der vergangenen Woche verhängt worden - insbesondere wegen des Einsatzes
"systematischer und weiträumiger sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt".

Die Sanktionen wurden mithilfe des EU-Sanktionsinstruments zur Ahndung von
schweren Menschenrechtsverstößen verhängt. Personen, die betroffen sind, dürfen
nicht mehr in die EU einreisen und keine Geschäfte mehr mit EU-Bürgern machen.
Außerdem müssen von den Betroffenen in der EU vorhandenen Konten und andere
Vermögenswerte eingefroren werden.

Mit den Sanktionen folgt die EU dem Beispiel der USA. Diesen haben bereits
Strafmaßnahmen verhängt, die sich gegen extremistische israelische Siedler
richten. Die USA werfen den Betroffenen unter anderem vor, sich im
Westjordanland an Gewalt gegen palästinensische Zivilisten beteiligt zu haben.

Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, hatte die
Entwicklungen in dem Gebiet erst in der vergangenen Woche wieder als höchst
besorgniserregend bezeichnet. Im Westjordanland würden Palästinenser ständig von
Hunderten israelischen Siedlern angegriffen, die oft vom Militär unterstützt
würden, ließ er mitteilen. Nach der Tötung eines 14-jährigen Israeli aus einer
Siedlerfamilie seien bei Racheakten vier Palästinenser getötet worden, darunter
ein Kind. Israel sei als Besatzungsmacht verpflichtet, Palästinenser vor
Siedlerattacken und rechtswidriger Gewalt durch Sicherheitskräfte zu schützen,
so Türk.

Ein Grund für die angespannte Lage im Westjordanland ist, dass Israel dort
seit der Eroberung des Gebiets im Sechstagekrieg 1967 umstrittene Siedlungen
ausbaut. Die Zahl der Siedler in dem Gebiet, das zwischen dem israelischen
Kernland und Jordanien liegt, ist inzwischen auf etwa eine halbe Million
gestiegen. Einschließlich Ost-Jerusalems sind es sogar 700 000. Die Siedler
leben inmitten von rund drei Millionen Palästinensern.

Die Vereinten Nationen haben diese Siedlungen als großes Hindernis für eine
Friedensregelung eingestuft, weil sie kaum noch ein zusammenhängendes
Territorium für die Palästinenser bei einer möglichen Zweistaatenlösung
zulassen. Als ein weiterer Grund für die angespannte Lage gelten Razzien der
israelischen Armee in Städten des Westjordanlands wegen Anschlägen von
Palästinensern auf Israelis./aha/DP/stw

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